Interview mit Ulf Kämpfer: „Wir können weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen“

Ulf Kämpfer ist seit 2014 Kieler Oberbürgermeister. Wir haben uns zur Halbzeit seiner zweiten Amtszeit mit ihm für ein Interview getroffen.

Bild: Fabian Winkler

Westwind: Ulf, du bist im Herbst 2019 das zweite Mal zum Kieler Oberbürgermeister gewählt worden. Damals hast du wahrscheinlich nicht gedacht, dass du so stark als Krisenmanager gefordert sein wirst. Wie blickst du zurück auf die Corona-Krise?

Ulf: Kiel ist wie Schleswig-Holstein insgesamt relativ gut durch die Krise gekommen. Aber „relativ“ heißt auch, dass in Kiel hunderte Menschen mit oder an Corona gestorben sind. Und natürlich waren die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen sowie die Entwicklungshemmnisse bei Kindern und Jugendlichen gravierend. Insofern bin ich sehr froh, dass die Einschränkungen jetzt vorbei sind und wir lernen mit dem Virus zu leben. Und wir müssen sicher auch aus den Erfahrungen lernen, was wir bei der nächsten Pandemie besser machen können.

Westwind: Es wird häufig davon gesprochen, dass wir auch gesamtgesellschaftlich lernen müssen aus der Krise. Was sind denn für dich politisch die größten Lektionen aus der Corona-Pandemie?

Ulf: Wir haben gemerkt, dass wir insgesamt zu wenig krisenfest sind. Das haben wir erst bei der Pandemie gemerkt und dann auch beim Energiesektor. Ich denke auch an Cyberkriminalität, vor der wir unsere kritischen Infrastrukturen schützen müssen. Je mehr wir auf Strom und auf Digitalisierung setzen, umso anfälliger wird unser hochkomplexes modernes Leben. Deswegen bereiten wir als Stadt gerade eine Resilienzstrategie vor. Für alle Bereiche schauen wir: Wie muss die Feuerwehr, wie müssen die Rettungsdienste ausgestattet sein? Was passiert beim Blackout, bei einer Pandemie, bei Cyberkriminalität und wie gehen wir um mit dem Klimawandel? Das betrifft sowohl die schleichenden Auswirkungen des Klimawandels als auch die Katastrophen, wie sie etwa im Ahrtal passiert ist. Man kann Krisen nicht komplett verhindern. Aber ich möchte zumindest so gut aufgestellt sein wie möglich, damit wir das Risiko gering halten. Und damit wir, wenn das Risiko eintritt, den Schaden begrenzen können.

Westwind: Es geht ja in den nächsten Jahren wahrscheinlich auch darum, die Stadt aus der Krise heraus umzugestalten. Auf welche Projekte bist du denn rückblickend besonders stolz und was erwartet uns in den letzten Jahren deiner Amtszeit?

Ulf: Die rund drei Jahre, die ich noch gewählter Oberbürgermeister bin, möchte ich mich um die großen Transformationsthemen kümmern. Das ist das Thema Digitalisierung: Ich möchte dafür sorgen, dass sowohl die Infrastruktur als auch die Bürgerdienste so weit wie möglich digitalisiert sind. Und da sind die Themen Verkehrswende, Energiewende und Klimaschutz, was ja alles
sehr eng zusammenhängt. Das ist für Kiel nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine riesige Chance. So wollen wir unser Küstenkraftwerk gern schon deutlich vor 2040 auf
Wasserstoff umstellen. Wir wollen Großwärmepumpen anschaffen und wir testen gerade auch die Möglichkeiten von Geothermie. Das ist nicht nur Zukunftsvorsorge, sondern hat auch mit Lebensqualität und mit Standortqualität von Kiel und ganz Schleswig-Holstein zu tun. Ich bin der Meinung, dass Schleswig-Holstein die Chance hat, da Vorreiter zu sein. Wenn wir es gut machen, können wir weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen und zeigen, wie man solche Transformationen schaffen und gleichzeitig ein demokratischer Sozialstaat bleiben kann.

Westwind: Bei welchen Punkten gucken andere Städte neidisch auf Kiel?

Ulf: Was vielleicht einige überraschen wird: Bei der Umgestaltung der Innenstadt gucken einige mittlerweile auf uns. Wir haben mit Weitsicht und langem Atem die Innenstadt umgebaut. Schon weit über 500 Millionen sind investiert worden, öffentlich und privat. Da sind wir, bei allen Schwierigkeiten, auf einem guten Weg. Ich glaube, auch bei dem Thema Zero Waste und bei dem Thema Klimaschutzkonzepte sind wir sehr gut davor. Und bei dem Thema Verkehrswende bin ich froh über unsere Jahrhundertentscheidung, dass wir die Stadtbahn wieder bauen wollen. Das wird von vielen wahrgenommen.

Westwind: Welche Möglichkeiten gibt es, schnell und einfach dafür zu sorgen, dass Kiel noch lebenswerter wird?

Ulf: Für die zweite Amtszeit ist mir sehr wichtig, Kiel an und aufs Wasser zu bringen. Unsere beiden Badestellen am Camp 24/7 und am Anleger Bellevue waren relativ kleine Investitionen und sind super erfolgreich. Und das nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter. Da haben wir gezeigt, dass wir mit wenig Geld ganz viel Lebensqualität gewinnen können. Zudem stellen wir jetzt in wenigen Jahren unsere komplette SFK-Fährflotte um auf Hybrid und vollelektrische Schiffe. Das kostet dann zwar eine Stange Geld, aber ist eine ganz wichtige Zukunftsinvestition, die wir auch in einem relativ überschaubaren Zeitraum geschafft haben. Auch bei der Umstellung der KVG-Busse auf vollelektrisch sind wir bundesweit ganz vorne mit dabei. Das sind alles Sachen, bei denen wir in wenigen Jahren wirklich sichtbare Erfolge zeigen können. Das wünsche ich mir auch noch stärker für das Thema bezahlbares Wohnen. Da merken wir, dass gerade jetzt durch die Baukrise vieles, was wir uns vorgenommen haben, schwerer wird. Da wäre ich doch froh, wenn wenigstens die einfachen Dinge, die viel nützen und gar nichts kosten, wie zum Beispiel die Mietpreisbremse und die verschärfte sogenannte Kappungsgrenzenverordnung, die den Mietanstieg deckelt. Das würde zehntausenden Mieterinnen und Mietern in Kiel sofort bei der Höhe ihrer Miete helfen.

Westwind: Und wo in der Stadt ist im Moment die meiste Bewegung drin?

Ulf: Zum Beispiel auf dem Ostufer: In Gaarden ist sowieso immer Bewegung drin – mal zum Guten, mal zum weniger Guten. Aber dort sieht man jetzt, wie auf wenigen hundert Metern die Hörn in den nächsten Jahren fertig gebaut wird. Dann haben wir das große Kool-Kiel-Projekt und das Postfuhrgelände. Das hat auf dem ganzen Ostufer eine große Bedeutung. Gucken wir aufs Westufer, da gibt es Kiel Science City am Bremerskamp. Es geht dabei nicht nur darum, Wissenschaft zu organisieren, sondern auch um Wirtschaft, Aufenthaltsqualität, studentisches Wohnen und um Start-up-Förderung. Das wird eine kleine Boomtown innerhalb der großen Boomtown Kiel. Das Max-Rubner-Institut zieht auf den Campus zur Universität. Dadurch ist auch am Schützenwall etwas am Horizont. Dort wird, noch von vielen Leuten unbemerkt, ein ganzer Stadtblock frei. Und so gibt es eine richtige Zukunftslandkarte von Kiel mit bekannten und noch nicht so bekannten Hotspots der Stadtentwicklung.

Westwind: Die Ratsversammlung hat entschieden, dass die Stadtbahn auf die Gleise gesetzt wird. Wie wird die Stadtbahn die Mobilität und den Zusammenhalt in der Stadt verändern?

Ulf: Die Stadtbahn soll zwei Dinge leisten: Sie soll uns helfen, Mobilität einfach besser zu organisieren und unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Derzeit haben wir einen mickrigen ÖPNV-Anteil am Gesamtverkehr von nur zehn Prozent. Langfristig wollen wir auf 20 Prozent kommen. Das ist gar nicht so ehrgeizig, wie es klingt, sondern ist der Durchschnitt von Großstädten mit einem modernen ÖPNV. Ein Stadtbahn ist übrigens auch ein Booster für die Stadtentwicklung: Die Erfahrungen anderer Städte zeigen, dass die Quartiere um eine Stadtbahnlinie herum einen echten Schub bekommen, Investitionen auslösen und die Lebensqualität insgesamt steigern.

Westwind: Zur Verkehrswende gehört auch, Rad- und Fußverkehr stärker zu fördern. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, damit mehr Leute Fahrrad fahren wollen?

Ulf: Wir haben durch Corona einen Fahrrad- und E-Bike-Boom bekommen und der stellt uns jetzt vor die Problematik, dass viele Fahrradwege hoch belastet sind. Das sieht man zum Beispiel an der Veloroute 1, die um die Förde führt – sowohl an der Kiellinie als auch an der Werfstraße. Wir müssen an den Ausbau von Premiumradrouten gehen. Denn wir wollen ja auch Bevölkerungsschichten für das Rad begeistern, denen das vielleicht bisher zu eng, zu unsicher oder zu unübersichtlich war. Dafür brauchen wir breite und sichere Fahrradwege. Eine Voraussetzung dafür haben wir geschaffen: Wir haben die Investitionsmittel in den Fahrradverkehr verdoppelt in meiner zweiten Amtszeit. Das hatte ich versprochen und das haben wir auch gehalten. Aber es wird noch zehn oder 20 Jahre dauern, bis wir da sind, wo wir hinwollen. Aber der riesige Erfolg der Veloroute 10 oder auch der Sprottenflotte zeigt ja, wie groß das Potential für den Radverkehr ist. Und das ist gar nicht gegen das Auto gerichtet. Es gibt jetzt ja auch im Jungfernstieg die neue Veloroute, wo man sich einfach gut aus dem Weg gehen kann, Autofahrer und Fahrradfahrer. Und darum geht es. Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander. Das Auto wird wichtig bleiben. Aber für Fahrräder müssen wir eben auch eine ganze Menge tun.