Kann Kiel bis 2035 klimaneutral werden?

Thore Pingpank. Diese Frage hat sich die Kieler Kommunalpolitik gestellt, denn das Jahr 2035 ist eine wesentliche Zielmarke für die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad. Das hierzu angeforderte Positionspapier „Kiel – Klimaneutral bis 2035!?“ zeigt eine erschreckende Erkenntnis auf: Bei gleichbleibenden Emissionen wäre das Kieler Emissionsbudget, also die Menge des CO2, welches noch ausgestoßen werden darf, um die eben genannte Begrenzung einzuhalten, schon 2028 aufgebraucht. Um bis 2035 klimaneutral zu sein, müssen wir unsere CO2-Einsparungen verfünffachen.

Bild: Fabian Horst

Schon hier wird klar: Aus eigener Kraft wird das schwierig. Denn die Rahmenbedingungen sind entscheidend, beispielsweise der Ausbau erneuerbarer Energien, für die auf dem Stadtgebiet selber kaum Platz ist. Klimaschutz wird also auch maßgeblich in der Fläche gemacht. Aber auch bei stark zunehmender Nutzung von erneuerbaren Energien sind massive Investitionen nötig. Ein großer Anteil davon entfällt auf die energetische Sanierung von Gebäuden und die Beheizung. Die beauftragten Expert*innen schätzen die Kosten auf ungefähr 240 Mio. € jährlich, die auf alle Kieler Akteur*innen verteilt anfallen. Wenn dies nur durch die Zivilgesellschaft getragen werden sollte, müsste jede*r Kieler*in also pro Jahr 1.000 Euro in die Klimaneutralität investieren. Das überfordert nicht nur viele Privatleute, auch der städtische Haushalt könnte diese Kosten nicht tragen. Es zeigt sich also auch, dass Klimapolitik auf Bundes- und Landesebene vorangetrieben und finanziert werden muss. Und natürlich, dass in dieser komplizierten Situation der Staat und die Menschen vor Ort eng zusammenarbeiten müssen.

Das Problem dabei: Trotz Klimanotstand sind die direkten Einflussmöglichkeiten der Stadt begrenzt, viele Investitionen fallen nämlich im privaten Bereich an. Um hier einzugreifen, fehlen rechtliche Instrumente von Land und Bund. So kommt es, dass manche Menschen mehr Einfluss auf die Entwicklung der CO2-Einsparungen haben als andere. Ein vergleichsweise kleiner Anteil der Menschen kann große Einsparungen über die Modernisierung von Gebäuden und Produktionsanlagen erreichen. Klar ist: Wer ein Haus besitzt sollte auf höchste energetische Standards aufrüsten. Wer ein Gewerbe besitzt, sollte umfangreiche Energiesparmaßnahmen anstoßen. Aber was macht die Mehrheit der Menschen, auf die beides nicht zutrifft? Wie kann die Sanierung eines Eigenheimes finanziert werden? Diese Frage bleiben aus kommunaler Perspektive schwierig zu beantworten.

Trotzdem wollen wir in Kiel natürlich alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen nutzen, um das Ziel der Klimaneutralität so schnell wie möglich zu erreichen. Im Einflussbereich der Stadt bedeutet das, als gutes Vorbild die Sanierung sämtlicher kommunaler Gebäude auf niedrige Energiestandards zu veranlassen und die Umstellung der Energieversorgung auf klimaneutrale Energieträger zu bewirken. Außerdem können Energiestandards für Neubauten in Bebauungsplänen vorgesehen werden. Der Mangel an Einflussmöglichkeiten ist aber auch der Grund, warum die Kieler Verkehrswende so wichtig ist. Die Stadt kann aktiv für einen massiven Ausbau komfortabler Fuß- und Radwege und des öffentlichen Nahverkehrs sorgen. Ohne einen Beitrag des Mobilitätssektors können die Klimaziele nicht erreicht werden.

Die Klimaneutralität für Kiel bis 2045 zu erreichen ist bereits herausfordernd. Das Ziel 2035 benötigt nochmal deutlich mehr Einsatz. Die gute Nachricht: Das beauftragte Büro kommt zu dem Ergebnis, dass eine Erreichung der Klimaneutralität in Kiel bis 2035 aus technischer Sicht möglich ist. Weil wir das Ziel aktuell nicht aus eigener Kraft erreichen können, müssen wir eine Politik einfordern, die mehr als bisher sozial durchdachte Investitionen in den Klimaschutz vorsieht. Eine weitere Jamaika-Koalition wird dafür nicht ausreichen.

Thore Pingpank