Westwind: Du bist seit fast fünf Jahren im schleswig-holsteinischen Landtag. Was würdest du als deinen größten politischen Erfolg bezeichnen?
Özlem: Als Kieler Landtagsabgeordnete freue ich mich sehr, dass ich gemeinsam mit meiner Fraktion maßgeblich beigetragen habe zu
spürbaren Verbesserungen im Bereich des bezahlbaren Wohnens und der Entwicklung unserer Innenstädte. Hierzu zählen beispielsweise eine Förderung von 60 Millionen Euro für den bezahlbaren und studentischen Wohnungsbau, 10 Millionen Euro für die Trendwende unserer Innenstädte und zwei Millionen für die Stärkung der Kultur. Darüber hinaus denke ich bei meinen persönlichen Erfolgen vor allem an die vielen einzelnen Schicksale: wenn eine Mutter aus der Gewaltspirale ausbricht, ins Frauenhaus kommt und wir dann gemeinsam eine bezahlbare Wohnung für sie und ihre Kinder finden können.
Westwind: Da du schon das Thema Wohnen angesprochen hast: Was würde eine SPD-geführte Regierung anders machen?
Özlem: Ich will nicht, dass Wohnen zum sozialen Pulverfass wird. Mein Ziel ist, stärker die Daseinsvorsorge in den Blick zu nehmen und auf eine vorausschauende, gemeinwohlorientierte Bodenpolitik zu setzen. Boden ist schließlich nicht unendlich verfügbar. Wir brauchen kluge Entwicklungskonzepte, die Bezahlbarkeit und Klimaschutz in Einklang bringen. Hierzu müssen wir auch die öffentliche Hand stärken. Warum sollen nicht Kommunen selbst auch als Akteure am Wohnungsmarkt auftreten dürfen? Zudem fordere ich, dass wir für Schleswig-Holstein eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft gründen, die in der Lage ist, bezahlbaren Wohnraum dort zu bauen und zu verwalten, wo Kommunen an ihre Grenzen stoßen. Zudem müssen wir Mieterrechte stärken. Westwind: Wie möchte die SPD Mieterrechte konkret stärken?
Özlem: Eins der zentralen Instrumente ist die Mietpreisbremse. Die Landesregierung hat sie als erstes Bundesland ohne Not abgeschafft. Damit profitieren Mieterinnen und Mieter in Schleswig-Holstein nicht davon, dass der Bund die Mietpreisbremse inzwischen verlängert und verschärft hat. Denn wir können dieses wichtige Instrument in Schleswig-Holstein derzeit gar nicht anwenden. Ich würde die Entscheidung der Jamaika-Regierung sofort revidieren.
Westwind: Wie müssen beim Wohnungsbau die Erfordernisse des Klimaschutzes berücksichtigt werden?
Özlem: Wenn man beim Klimaschutz wirklich etwas bewegen will, muss die Sozialverträglichkeit sichergestellt sein. Wenn ich mit Menschen in unserer Stadt spreche, fragen viele: „Klimaschutz wollen wir ja alle, aber was heißt das denn am Ende des Tages für meine Miete?“ Diese Frage müssen wir beantworten. Denn Klimaschutz ist kein Luxusthema. Dafür das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen und den Menschen zu erklären, dass alle durch den Klimaschutz gewinnen, wenn man ihn sozialverträglich ausgestaltet, ist auch im Baubereich noch eine große politische Aufgabe.
Westwind: Was sind denn abgesehen vom Thema bezahlbarer Wohnraum die wichtigsten Ideen der SPD, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken?
Özlem: Für mich persönlich bleibt die Armutsbewältigung ein großes Thema. Wir gehören bundesweit zu den Städten, die stark von Armut – sowohl Kinderarmut als auch Altersarmut – geprägt sind. Diese Seite der Medaille unserer Wohlstandsgesellschaft ist für mich nicht hinnehmbar. Bisher wird das Thema Armut von der Landesregierung leider vollkommen vernachlässigt. Da müssen wir als SPD ran!
Westwind: In den sozialen Medien haben wir gelesen, dass die SPD eine „Vor-Ort-für-Dich-Kraft“ einführen will. Kannst du uns erklären, was es damit auf sich hat?
Özlem: Viel zu häufig fühlen sich Menschen mit ihren Problemen allein gelassen der haben nicht die Kraft, hohe bürokratische Hürden zu überwinden. Dem wollen wir mit der neuen Vor-Ort-für-Dich-Kraft entgegenwirken. Sie soll die Lücken schließen, die es trotz vieler Unterstützungsangebote im gesundheitlichen, pflegerischen und sozialen Bereich, derzeit gibt. Die Vor-Ort-für-Dich- Kraft macht zum Beispiel präventive Hausbesuche bei Senior*innen im Stadtteil, damit diese sozial integriert bleiben und möglichst lange selbstbestimmt zu Hause wohnen bleiben können. Unser Modell hat viele Überschneidungen mit der bewährten Gemeindeschwester. Die gab es lange Zeit als direkte Ansprechpartnerin in unseren Quartieren. Dafür brauchen wir Personen, die sich im Quartier auskennen und selbst dort leben. Die die Menschen auf der Straße treffen, wiedererkennen und sagen können: Okay, da kann ich dir helfen. Das habe ich für Dich in Erfahrung gebracht.“ Diese Struktur wollen wir wieder etablieren, denn durch Nachbarschaft kann Bindung und Nähe entstehen.
Westwind: Warum bist du eigentlich in die SPD eingetreten und gab es ein Thema, das dir dabei besonders wichtig war?
Özlem: Für mich war das Thema soziale Gerechtigkeit immer schon besonders wichtig. Nach dem Studium habe ich angefangen, in der sozialen Beratung zu arbeiten. Ich habe viele Menschen in unterschiedlichen prekären Lebenslagen beraten und musste immer wieder feststellen, dass sie sich von der Gesellschaft und der Politik abgehängt fühlen und frustriert abwenden. Ich habe mir gesagt: Ich möchte das politische Sprachrohr dieser Menschen sein und ihre Bedürfnisse an den richtigen Stellen einbringen. So bin ich ehrenamtlich im Quartier gestartet. Ich habe mich aktiv in den Ortsbeiräten und in den sozialpolitischen Netzwerken eingebracht. Daraufhin kamen 2012 erneut Parteien auf mich zu. Bei der SPD gab es stets die größten Überschneidungen und meine Entscheidung für die ehrenamtliche Kommunalpolitik war damit endgültig gefallen. Dieses Jahr habe ich mein zehnjähriges Partei-Jubiläum. Im Herzen bin ich aber schon seit meiner Schulzeit engagierte Sozialdemokratin.
Westwind: Wir haben noch eine letzte Frage, die wir traditionell allen Interviewpartnerinnen und -partnern stellen: Was ist dein Lieblingsort in Kiel?
Özlem: Mein Lieblingsort ist aktuell der Innenstadtbereich, also die Holstenstraße und alles rund um den Kleinen Kiel. Dort bin ich viel unterwegs, um mir ein Bild von den Entwicklungen zu machen. Und ich finde, unsere Innendstadt gewinnt gerade viel an Charme und hat großes Entwicklungspotenzial. Das will ich auch weiterhin aktiv begleiten und gestalten.
Westwind: Wie stellst du Dir die Kieler Innenstadt in zehn Jahren vor?
Özlem: Lebendig. Florierend. Zentraler Hotspot unserer Landeshauptstadt. Aber nicht nur zum Shoppen. Unsere Stadt ist auch öffentlicher Raum und braucht Angebote für alle – unabhängig vom Geldbeutel. Reine Einkaufszonen, die nach Ladenschluss zu toten Meilen verkommen, sind nicht mehr der Zeitgeist! Ich stelle mir hier tolle Konzerte vor, ganz viel Bildung und Kultur. Dann haben wir ganz viele öffentliche Plätze, an denen sich Menschen aufhalten können, ohne etwas kaufen zu müssen. Stellt euch das mal vor! Da kannst du dir dein Buch schnappen, deinen Picknickkorb und eine Ruhepause einlegen. Mit ganz viel Mut und Kreativität entsteht eine Innenstadt mit einem eigenen Markenkern, die nicht so aussieht wie jede andere Innenstadt.