Du wohnst noch gar nicht so lange in Kiel. Wie war dein erster Eindruck der Stadt? Und wie ist er jetzt?
Tatsächlich ist das genau der richtige Zeitpunkt für die Frage: Ich wohne jetzt ziemlich genau drei Jahre hier und mir hat am Anfang mal jemand gesagt, dass man in Kiel die ersten drei Jahren weg möchte und nach drei Jahren will man dann nirgendwo anders mehr hinziehen. Ich habe vor ein paar Tagen mit meiner Frau einen Spaziergang am Wasser gemacht und wir haben dabei festgestellt, dass wir tatsächlich nicht mehr wegwollen. Wir leben zum ersten Mal in unserem Leben am Meer und genießen das sehr.
Du hast auch in Berlin, Münster und Bremen gewohnt, wie siehst du Kiel im Vergleich zu diesen Städten?
Auf den ersten Blick sind die Städte schwer zu vergleichen. Kiel hat aber mit einer Besonderheit zu kämpfen, die gleichzeitig ganz toll ist: Kiel liegt am Meer und die Förde schiebt sich keilförmig in die Stadt, was für die Verkehrsinfrastruktur eine riesige Herausforderung ist. Das kenne ich aus Berlin oder Bremen so nicht. Als wir das erste Mal hier angekommen sind, ist mir aufgefallen: Wenn man sich von Süden der Stadt nähert, ist man relativ schnell auf riesigen Straßen, die Ostufer und Westufer miteinander verbinden – da ist relativ wenig Stadt, aber sehr viel Straße. Für jemanden, der gern Fahrrad fährt oder zu Fuß geht, ist das erstmal sehr gewöhnungsbedürftig.
Wie bist du zur Kommunalpolitik gekommen? Was möchtest du erreichen?
Als ich nach Kiel kam, war gerade Bundestagswahlkampf und CDU und FDP sagten, man müsse Kiel attraktiver fürs Autofahren machen. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt habe ich beschlossen, dass ich politisch aktiv werden muss. Ich habe nichts gegen den motorisierten Individualverkehr, wie es so schön heißt, und ich fahre auch selbst gerne Auto. In Kiel stößt der Autoverkehr aber an seine Grenzen. Der Kleine-Kiel-Kanal ist ein schönes Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Ich kann mich noch gut erinnern: Als wir hier ankamen, war dort eine vierspurige Straße und jetzt ist mitten in der Stadt ein Kanal entstanden – was ich ganz toll finde. Wenn man was bewegen möchte, dann muss man sich engagieren und ich möchte was bewegen. Darum bin ich in die SPD eingetreten. Ich möchte an der Verkehrswende mitarbeiten – an einer Verkehrswende, bei der am Ende alle gewinnen. Denn wenn wir über Flächengerechtigkeit sprechen – und da muss beim Auto etwas wegfallen – muss das trotzdem nicht zum Schaden der Autofahrer sein. Ganz im Gegenteil: Es kann sehr zum Fahrvergnügen beitragen, wenn die Leute auf einen Teil der Autofahrten verzichten. Die Autofahrten, die dann immer noch stattfinden, machen dann viel mehr Spaß und wir können insgesamt ein wesentlich besseres Verhältnis zwischen allen Verkehrsteilnehmer*innen erreichen.
Was müsste denn in Kiel getan werden, damit die Menschen vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen?
Wenn wir wegwollen von kurzen Autofahrten, dann müssen wir den öffentlichen Nahverkehr attraktiver und günstiger machen. Kiel ist eine der wenigen Städte, die eine schwarze Null bei den öffentlichen Verkehrsmitteln schreibt und stolz darauf ist. Ich bin aber der Meinung, die Stadt sollte in diesem Punkt Schulden machen. Neben günstigeren Fahrpreisen brauchen wir auch eine höhere Taktung. Außerdem brauchen wir breitere Bürgersteige und Radwege, um den Fuß- und Radverkehr attraktiver zu machen.
Sicher hast du auch abseits von deinen kommunalpolitischen Vorstellungen viel zu erzählen. Du bist ursprünglich Jurist, arbeitest inzwischen aber als Fotograf. Auf deiner Webseite haben wir Bilder von Geflüchteten auf Lesbos entdeckt. Kannst du uns erzählen, wie es dazu kam?
Die Bilder stammen aus meiner Zeit in Bremen im Jahr 2015. Ich habe damals eine Bremerin kennengelernt, die spontan mit ihrem Freund einen VW-Bus besorgt hat und damit Kleidung und Lebensmittel zu Flüchtlingen gebracht hat. Als sie von ihrer ersten Reise zurückkam, haben wir uns mit zehn Leuten spontan zusammengetan und einen Verein gegründet. Der nannte sich „SOS – Signal of Solidarity“. Wir waren vor allem in Griechenland und Serbien. Aber auch im Norden Frankreichs waren wir unterwegs und haben gespendete Kleidung, Zelte, Lebensmittel und Medikamente zu den Menschen gebracht. Das war eine tolle Erfahrung.
Zum Schluss die Frage, die wir jedem Interviewpartner stellen: Was ist dein Lieblingsort in Kiel?
Also wenn ich Kiel und Umgebung nehmen darf: Am allerhäufigsten bin ich mit meiner Frau im Schwedeneck. Wir starten beim Strandhaus und laufen entweder links Richtung Surendorf oder rechts Richtung Bülk. Von dort hat man einen fantastischen Blick aufs offene Meer, Sandstrand, Steilküste und Wald – Natur pur. Mit dem Rad ist man in einer Stunde da, mit dem Auto in weniger als 20 Minuten – sagenhaft. In Kiel selber gehen wir sehr gern an der Kiellinie spazieren. Wasser ist das Pfund, mit dem Kiel immer werben sollte. Es gibt wenige Städte, die am Meer liegen und so lebenswert sind.
Was ist eigentlich ein Ortsbeirat?
Im Ortsbeirat wird Politik für den Stadtteil gemacht: Wo fehlt ein Radweg? Wo kann der Stadtteil begrünt werden? Wo ist die Verkehrsführung verwirrend?
Über solche Themen wird einmal monatlich im Ortsbeirat beraten. Der Ortsbeirat setzt sich gemäß der bei der Kommunalwahl 2018 gewählten Parteien zusammen – die Stimmverhältnisse spiegeln dabei das Wahlergebnis im Stadtteil wider. Die Mitglieder des Ortsbeirats wählen einen Vorsitzenden aus ihrer Mitte.
Die Sitzungen sind öffentlich: Jede und jeder kann dorthin gehen, zuhören und Fragen stellen. Vorbeischauen lohnt sich: Hier erfährt man als erstes, was im Stadtteil ansteht. Wichtige Bauvorhaben und Projekte werden frühzeitig vorgestellt und besprochen. Außerdem können jedes Mal unter dem Motto „Einwohner*innen fragen und regen an“ Bürger*innen ihre eigenen Anliegen oder Ideen äußern.
Ortsbeiräte haben eine beratende Funktion: Sie äußern Empfehlungen, Entscheidungen werden dann in der Kieler Ratsversammlung gefällt. Alle Informationen zu Sitzungsterminen, Orten und Themen sowie eine Übersicht, welcher Ortsbeirat für welchen Stadtteil zuständig ist, findet ihr online unter kiel.de/ortsbeiraete.
Schaut doch einfach mal vorbei! Wer Gilmore Girls geguckt hat, weiß, wie spannend und lustig es sein kann, wenn Menschen über das diskutieren, was direkt vor der Haustür passiert. Je mehr Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven ihre Ideen einbringen, umso besser!
In Kiel gibt es insgesamt 18 Ortsbeiräte. Einer davon ist der Ortsbeirat Mitte, der zuständig ist für die Stadtteile Damperhof, Altstadt, Vorstadt, Südfriedhof und Exerzierplatz. Dies ist ein besonders spannender Ortsbeirat, da hier auch Vorhaben für die Innenstadt als erstes besprochen werden. Der Ortsbeirat Mitte tagt an jedem dritten Dienstag, in der Regel im Magistratssaal, zu Corona-Zeiten im Ratsaal.