Unter den Pflastersteinen wartet der Stadtstrand

Thore Pingpank. Wir haben uns leider schon an eine verschwenderische Nutzung des öffentlichen Raumes gewöhnt. Was wir dabei oft vergessen ist, dass wir selbst bestimmen können, was wir mit diesem Raum anfangen wollen.

Bild: Thore Pingpank

Wohl jeder kennt diese Momente der Sehnsucht, wenn man an einem der seltenen Sonnentagen in die Förde springen oder sich an der Kiellinie in den warmen Sand legen möchte. Es sind die Momente, in denen man vielleicht beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster lieber etwas Grün sehen würde, statt immer dieselbe Wohnung der Nachbar*in. Oder der Moment, wenn man auf dem Heimweg einen sicheren Stellplatz für sein Fahrrad finden will. Vielleicht ist man dann genervt. Vielleicht denkt man dann aber auch: Hier ist echt noch Luft nach oben.

Die Stadt ist unsere alltägliche Umgebung. Dazu gehören schöne Erlebnisse wie die jährliche Kirschblüte am Lessingplatz. Die andere Seite der Medaille sind aber auch Blechwüsten auf den großen Parkplätzen der Stadt, graue, triste Bauten und breite Straßenkreuzungen.

Wir haben uns leider schon an eine verschwenderische Nutzung des öffentlichen Raumes gewöhnt. Was wir dabei oft vergessen ist, dass wir selbst bestimmen können, was wir mit diesem Raum anfangen wollen. Man kann gerade am Beispiel von unscheinbaren Hinterhöfen abseits der Straßen gut sehen, dass viele andere Verwendungen möglich sind.

Zur Inspiration waren wir auf Entdeckungstour in den Hinterhöfen des Französischen Viertels und haben eine Karte zusammengestellt (siehe S. 7). Wir hätten nie geahnt, welche Vielfalt sich hinter den Mauern der Häuserblöcke verbirgt.

Aber was ist mit dem Rest? Warum zum Beispiel sind die Stellen, an denen alle teilhaben können, nicht ansatzweise solche Orte zum Genießen und Verweilen, wie sie manche Leute in ihrem Hinterhof und Garten pflegen? Oder umgekehrt: Warum ist es nicht eine persönliche Aufgabe, ein Platz für sein Auto bereitzustellen? Es ist Zeit kritisch zu hinterfragen, wessen Bedürfnissen die aktuelle Aufteilung des öffentlichen Raums Rechnung trägt. Für mich liegt die Vermutung nahe, dass hiervon – wenn überhaupt – eine Minderheit der Menschen profitiert.

Fakt ist zumindest, dass die Struktur der Städte, in denen wir wohnen, uns täglich in unserem Verhalten beeinflusst. Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich rechnete schon 1965 mit einem allzu künstlichen Baustil ab, der auf das Gemüt der Menschen abfärbt. Jan Gehl, Architekt und Stadtplaner aus Kopenhagen, sagte in einem Interview1, dass er auf eine entscheidende Frage seiner Frau, einer Psychologin, keine Antwort wusste. Die Frage war: Was macht die Architektur eigentlich mit den Leuten, die darin leben müssen? Für ihn stellte sich heraus, dass auch keiner seiner Kolleg*innen darauf eine Antwort wusste. Es dachte einfach keiner von ihnen über die Konsequenzen ihrer Arbeit nach.

Auch Kiel schrieb sich lange die autogerechte Stadt auf die Fahnen und konnte es sich nach dem zweiten Weltkrieg nicht erlauben, auf Ästhetik zu achten. Beides wirkt bis heute an vielen Orten nach.

Die gute Nachricht ist aber: Auch wenn Kiel eher wenige natürlich ‚gewachsene‘ Strukturen aufweist, kann man die Gebäude und Straßen mit neuen Ideen überwuchern. Die Stadt ist von uns veränderbar und das sogar einfacher als man vielleicht denkt. Ich finde, es ist ein sinnvoller Gegenentwurf, dass der Stadtraum wieder mehr zu einem Ort der Begegnung wird, indem man den angesprochenen Trend umdreht und das Schöne in die Öffentlichkeit bringt.

Das muss nicht heißen, sofort alle Parkplätze abzuschaffen und in die Hinterhöfe zu verbannen. Aber anfangen kann man ja mit den Autos auf den Gehwegen. Und solche die sich nur am Wochenende bewegen, die könnte man auch anderweitig abstellen, zum Beispiel per Park & Ride vor den Toren der Stadt.

Auch wenn die jeweiligen Schlussfolgerungen aus dem in der Überschrift leicht abgewandelten Spruch der 68er-Bewegung unterschiedlich sind, halte ich die Kernaussage jedoch für wahr: Unter den anonymen Straßenzügen wartet eine neue, menschengerechte Stadt, die von uns gebaut werden muss. Kommunalpolitik, so anstregend sie manchmal sein mag, kann man daher auch als Einladung verstehen, sich die Stadt wieder mit anderen Augen anzugucken. Wenn das oft genug passiert, können wir Kiel in die richtige Richtung entwickeln.

Inzwischen kann man sogar in der Förde schwimmen. Und wer weiß: Vielleicht ist der nächste Schritt ja irgendwann der Stadtstrand. Der Platz in der Stadt ist da. Er muss nur anders verteilt werden.

1 Brand Eins Wirtschaftsmagazin (2014): Die Menschen in Bewegung setzen

Thore Pingpank